Warum wir dringend einen offeneren und menschlicheren Umgang mit dem Tod brauchen
März 2024
Anfang des Jahres war ich wegen eines familiären Todesfalls einige Zeit in Österreich.
Der Tod ist mittlerweile ein bekannter, da wiederkehrender Gast in meiner Familie. Jede Begegnung mit ihm markiert eine Momentaufnahme, bei der sich die Plätze um den Tisch herum neu sortieren. Neugeborene Gesichter, die verstorbenen manchmal erstaunlich ähnlich sehen, füllen die Lücken. Zum Glück, denn sonst fiele die Abwesenheit derer, die nicht mehr da sind, noch schmerzlicher auf, weil die Lücken zwischen den Hinterbliebenen immer größer würden.
Wo der Tod einkehrt, da zieht er eine Schleppe der Trauer hinter sich her, deren trister Schleier noch lange den Boden, die Wände und all die persönlichen Gegenständen der Verstorbenen überzieht, auch wenn die Furcht vor und der Schock nach seinem Erscheinen bereits verblasst sind.
Der Tod, er macht mir jetzt gerade keine Angst, aber er macht mich schon seit Jahren nachdenklich.
- Wie möchte ich meine Zeit nutzen?
- Ist das, was ich tue, sinnvoll?
- Wie möchte ich leben?
- Was ist mir wirklich wirklich wichtig?
- Was möchte ich hinterlassen?

Foto von Scott Rodgerson auf Unsplash
Als ich meinen Onkel in seinen letzten Wochen besuchte, bat er mich, ihm ein paar Yogaübungen zu zeigen. Und so praktizierten wir nicht nur gemeinsam Yoga, sondern ich zeigte ihm außerdem ein paar meiner somatischen Klangübungen, die er sehr liebte.
Zwei Wochen später machte ich mich noch einmal überstürzt auf den Weg Richtung Süden. Wissend, dass es sehr knapp ausgehen dürfte.
Und so kam es leider auch.
Als wir an seinem Krankenbett eintrafen, lag sein Körper noch da, aber er war schon weg.
Und zu den Fragen der Lebensausrichtung, mit denen mich der Tod alle heiligen Zeiten in die Mangel nimmt, gesellten sich ein paar zusätzliche, grundsätzliche, die ich noch gar nicht so richtig in Worte fassen konnten, die aber damit zu tun hatten, dass dieser Körper, der vor wenigen Stunden noch geatmet, belebt und beseelt gewesen war, jetzt offensichtlich nicht mehr atmete und ohne seine Seele einer Wachspuppe glich.
„Er ist nicht mehr hier“, sagte meine Cousine gleich, als wir das Krankenzimmer betraten und genauso spürte ich es auch. Er war nicht mehr hier.
Ganz sicher nicht.
Nicht in diesem Zimmer und auch nicht in diesem Körper.
Was im Bett lag, war nur noch seine Hülle, sein verlassener Leichnam.
Corpus & Soma – toter Körper & lebendiger Leib
Thomas Hanna, der in den 1970ern zum ersten Mal den Begriff „Somatics“ in den Raum warf, und damit letzten Endes einen Überbegriff für eine ganze Reihe an Methoden schuf, wählte dafür das griechische Nomen soma (σῶμα: Leib, Körper) als Stamm, um sich damit konzeptuell von dem in der westlichen Medizin gebräuchlichen, lateinischen corpus abzugrenzen.
Während die Medizin ihr Wissen über die Beschaffenheit von Körpern seit dem 14. Jahrhundert vor allem über das Sezieren und Studieren des toten corpus gewann, interessieren sich die Somatics für seine Lebendigkeit.
Während die Medizin versucht, objektive Erkenntnisse zu gewinnen und durch die externe Beobachtung den Körper – und manchmal leider auch den im Körper innewohnenden Menschen – zum Objekt macht, sind die Somatics radikal subjektiv.
Soma meint den subjektiv erfahrbaren Körper, also so, wie er von innen heraus beobachtet und erlebt wird. Zum Beispiel, wenn sich die Lungen mit jedem Atemzug weiten, wenn sich Muskel- und Faszienschichten bei einer Bewegung übereinander schieben, wenn, verbunden mit einem Gefühl von Ekel oder auch Lust, ein kalter Schauer über den Rücken läuft, wenn das Verdauungssystem als Ausdruck tiefer Entspannung zu gluckern beginnt oder uns ein mulmiges Bauchgefühl heimsucht und uns eine Entscheidungen entgegen den rationalen Vorschlägen des Verstands treffen lässt.
Der medizinische Körper ist messbar – der somatische Körper ist fühlbar.
Der medizinische Körper ist therapierbar – der somatische Körper heilt sich selbst.
Bis er es irgendwann nicht mehr tut und aus soma ein corpus wird.

Sollten wir das Sterben lernen?
In jeder Kleinstadt gibt es mittlerweile zahlreiche Geburtsvorbereitungskurse, doch Kurse, die einem das Sterben beibringen, sucht man vergeblich.
Bei Geburten scheiden sich die Geister, ob ein Krankenhaus ein medizinisch notwendiges oder für die Gebärende und das Neugeborene eher traumatisierendes Umfeld sei. Beim Sterben sind sich (wohl) alle einig: kaum wer möchte die letzten Stunden in klinisch-kühler Umgebung zwischen piepsenden Maschinen verbringen.
Und doch verstarben laut einer Studie des Max-Planck-Instituts 2016 fast die Hälfte (46 Prozent) in Kliniken.
Ich halte die meisten Krankenhäuser für ungeeignete Sterbeeinrichtungen, da Sterbebegleitung dort allenfalls auf medizinische Letzversorgung reduziert wird, sobald eine Heilung aussichtslos erscheint; psychologische oder gar spirituelle Begleitung aber viel zu kurz kommen oder gar nicht stattfinden.
Zudem wird es oft verabsäumt, Patient:inenn und ihren Angehörigen überhaupt den Wechsel von der therapeutischen zur palliativen Versorgung offen zu kommunizieren.
Den Tod ankündigen: Professionelle Sterbekommunikation
Im Krankenhaus, in dem mein Onkel untergebracht war, fiel es den Ärzten erschreckend schwer, diese Aussichtslosigkeit zu benennen. Eine Beobachtung, die ich auch schon vor sieben Jahren bei meinem Vater machen musste und die andere Angehörige von verstorbenen Krebspatient:innen, mit denen ich mich in den letzten Jahren austauschte, ebenso erlebten.
Dass die Versorgung meines Vaters eigentlich nur noch eine palliativ war, verschwiegen uns die behandelnden Ärzt:innen. Wäre ihm dies bekannt gewesen, hätte er vermutlich auf die Strapazen der letzten Chemobehandlung, für die er kaum noch Kräfte hatte, verzichtet.
Bei dem ebenfalls an Lungenkrebs erkrankten Vater einer Bekannten war es die Putzkraft im Krankenhaus, die die Familie darauf aufmerksam machte, dass es auf das Ende zugehen dürfte, weil sich seine Atmung verändert hatte und er die Nahrungsaufnahme seit Tagen verweigerte. Dem behandelnden Ärzt:inen-Team war dieses Veränderung im Kliniktrubel entweder nicht aufgefallen oder sie scheuten das offene Gespräch mit der Familie.
Einfühlsame Angehörigengespräche so wie man sie aus Krankenhausserien oder Filmen kennt, gibt es in der Realität wohl leider eher selten.
Man mag Ärzt:innen zu Gute halten, dass sie aus ethischen Gründen ungern über das Ableben eines Patienten spekulieren möchten, solange Patient:in und Angehörige hoffnungsvoll auf ein Wunder warten.
Spontanremission heißt dieses Wunder, das Mediziner:innen vor Rätsel stellt und auf das man als Krebsangehörige insgeheim hofft, obwohl man weiß, dass ein Lotto-Sechser wahrscheinlicher sein dürfte, als eine spontane Heilung und Rückzug des Krebses.
Niemand zerstört gerne Hoffnungen.
Spätestens aber, wenn jene typische Anzeichen auftreten, die unweigerlich die letzten Stunden einläuten, dazu gehören Nahrungsverweigerung, kalte Hände und Füße, glasige Augen, fleckige Haut, Rasselatmung, Halluzinationen (z.B. verstorbene Verwandte oder Freunde, die den Sterbenden „besuchen“ kommen), Unruhe oder manchmal auch euphorische Zustände – wäre es doch ethisch absolut geboten, Angehörige umgehend zu informieren und den Sterbenden bestmöglich in seinem Prozess zu begleiten statt stoisch am verordneten Therapieplan festzuhalten.
Vielen Ärzt:innen scheint dies schwer zu fallen.
Den karrierebewussten Aufsteiger:innen unter ihnen vielleicht, weil sie jede:n Patient:in, die ihnen wegstirbt, als persönlichen Misserfolg verbuchen.
Den „Göttern in weiß“ vom alten Schlag, weil es ihnen schwer fällt, anzuerkennen, dass auch die modernste Medizin Grenzen hat.
Der größeren Mehrheit aber wahrscheinlich, weil diese Art von existenziellen Gesprächen enorm unangenehm und herausfordernd sind und sie sich psychologisch nicht ausreichend gewappnet fühlen.
Patient:innen- und Angehörigenkommunikation nehmen selbst in den neuesten Studienplänen einen beschämend kleinen Raum ein. Anders als Biologienoten und das große Latinum sind emotionale Intelligenz und Empathiefähigkeit keine Zugangsvoraussetzungen für ein Medizinstudium – die Humanmedizin operiert am corpus, interessiert sich nicht so sehr für soma.
Bei einem Online-Sterbekongress lausche ich einem Vortrag einer Psychoonkologin. Sie kritisiert den Umgangston vieler Ärzt:innen mit ihren Patient:innen scharf. Ihre Aufgabe als Psychologin sei es eigentlich, Patient:innen nach der Bekanntgabe der Diagnose zu stabiliseren. Häufig beschäftige die Patient:innen aber über mehrere Sitzungen hinweg erst einmal die unmenschliche Art und Weise, mit der ihnen die Diagnose durch Ärzt:innen kommuniziert worden war.
Eine potenziell tödliche Krankheit diagnostiziert zu bekommen, kann ein Trauma verursachen, was sich im schlimmsten Fall ungünstig auf den weiteren Krankheitsverlauf auswirkt. Die ohnehin prekäre Situation durch unsensible Patient:innenkommunikation zusätzlich zu belasten ist ein Armutszeugnis für die moderne Humanmedizin.
Den Tod gestalten: Persönliche Sterbebegleitung
Aber auch unter Angehörigen und im Umgang mit den Schwerkranken bleiben der Tod und das Sterben oft etwas Unaussprechliches. Fast so, als würde man den Tod erst dadurch heraufbeschwören, indem man ihn zur Sprache bringt oder als könnte man ihn abwenden, wenn man nicht über ihn redete.
Stattdessen ist es leider so, dass durch die Vermeidung des Themas auch die Chance versäumt wird, Sterbende ihren Wünschen entsprechend durch den Prozess zu begleiten, sie beim Abschließen ihres Lebens zu unterstützen, sie von ihren Ängsten zu entlasten und ihren Übergang gemäß ihren eigenen religiösen, spirituellen oder auch atheistischen Vorstellungen zu gestalten
In österreichischen Landeskrankenhäuser scheint die katholische Kirche übrigens immer noch ein Monopol auf die Seelsorge zu haben, obwohl nicht einmal mehr die Hälfte der Österreicher:innen Mitglieder der katholischen Kirche sind.
Wer im Krankenhaus stirbt, muss damit rechnen, in seinen letzten Stunden oder posthum Bekanntschaft mit einem Pfarrer zu machen und die üblichen katholischen Prozedere über sich ergehen lassen wie Vater unser- und Marien-Gebete zur Vergebung von „Sünden“ (was solche ja per se einfach voraussetzt..), das Besprenkeln mit Weihwasser, das Legen der Hände in Gebetshaltung, das Zudecken mit einer Kirchendecke mit katholischen Ornamenten, das Anzünden von Jesuskerzen und Hinterlegen von Gebetskärtchen auf dem Nachttisch – so leider alles selbst erlebt bei nicht-katholischen Verwandten.
Bewusst leben und selbstbestimmt sterben
Wenn ich Freund:innen frage: „Wie würdest du gerne sterben, wenn du es dir aussuchen könntest?“ ist die Antwort meist „kurz und schmerzlos“. Oder „im Schlaf, so dass ich gar nichts davon mitbekomme“.
Und dieser Antwort liegt meist eine diffuse Angst zugrunde, dass das Sterben mit Schmerzen einhergeht.
Dabei ist der Tod selbst, allem nach was wir wissen, nicht schmerzhaft.
Die Sterbebegleiterin und Gründerin der Sterbeammenakademie, Claudia Cardinal, warnt sogar davor, dass die standardmäßige Übermedikation in Pflegeheimen dazu führen könne, dass Menschen gar nicht wahrnähmen, dass sie im Begriff seien, zu sterben.
Ob man seinem eigenen Sterben nun bei möglichst vollem Bewusstsein und klarem Verstand beiwohnen oder lieber mit Schmerzmedikation und Beruhigungsmitteln sicherstellen möchte, dass der Prozess möglichst schmerz- und furchtlos von statten geht, auch wenn das vielleicht bedeutet, in den letzten Stunden nicht mehr viel mitzubekommen – ist eine sehr persönliche Frage, auf die wir keine allgemeingültige, richtige Antwort finden.
Vielleicht noch nicht einmal für uns selbst, weil, wie der Psychologe und Thanatologe Martin Prein in seinen Büchern bemerkt, wir keine absolute Gewissheit darüber haben können, wie es uns in unseren letzten Stunden gehen wird und welche uns bislang unbekannten Abwehrmechanismen und Konflikte uns vielleicht beschäftigen werden.
Als ich im Sommer in einem Hospiz hospitierte, war ich zugegebenermaßen etwas überrascht zu erfahren, dass auch an einem Ort, an dem es nicht mehr um Heilung sondern nur noch darum geht, den Bewohner:innen, die letzten Wochen, Tage oder auch Stunden so angenehem wie möglich zu gestalten, die Auseinandersetzung mit dem Tod nicht in der Offenheit geschieht, wie ich es naiverweise angenommen hatte. Der Tod ist dort selbstverändlich präsent, geht er doch ständig ein und aus. Aber vielleicht gerade durch seine Präsenz und ganz gewiss auch durch die freundliche, fast familäre Atmosphäre an diesem Ort, wo jeder möglichst selbstbestimmt seinen Tagesablauf strukturieren darf und manche auf einmal täglich mehr soziale Kontakte pflegen, als die ganzen Jahre davor, keimt in den Bewohner:innen der Lebenstrieb oft erst so richtig auf und der Tod verschwindet paradoxerweise aus dem Bewusstsein.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Palliativ- und Hospizverbandes e.V. ist die Angst vor physischen Schmerzen erheblich größer (32%), als die Angst vor der Ungewissheit, was danach kommt (nur 12%). Auf dem geteilten ersten Platz rangiert außerdem noch die Angst vor einem hilflosen medizinischen Ausgeliefertsein (32%), gefolgt vor der Angst um Hinterbliebene und Unerledigtes (29%).
Das Paradoxe auch hier: im Gegensatz zur ungeklärten Frage, was nach dem Tod geschieht, lässt sich das Risiko von Schmerzen, medizinischer Über- bzw. Unterversorgung sowie der Nachlass zur Vermeidung von Unerledigtem zeitlebens regeln. Dieses Ängste sind also steuerbar. In einer Umfrage des RKI gaben aber trotzdem nur 45% an, eine Patientenverfügung erteilt zu haben (absolute Zahlen gibt es nicht, da Patientenverfügungen im Gegensatz zu Vorsorgemachten nicht registrierungspflichtig sind). Frauen sorgten deutlich häufiger vor (50,1%) als Männer (39,1%).
Aus der Perspektive einer Hinterbliebenen weiß ich auch, dass es für Hinterbliebene nicht nur eine enorme bürokratische Erleichterung darstellt, wenn der Nachlass geregelt ist, Dokumente an ihrem Platz und digitale Zugangsdaten zur Kündigung von Online-Konten und Services rechtzeitig geteilt wurden, sondern dass es es einem auch eine enorme Last von den Schultern nimmt, wenn man mit Gewissheit sagen kann, wie und wo der oder die Verstorbene bestattet werden möchte.
Diese Gewissheit tröstet ein ganz klein wenig über die Ungewissheit darüber, wo die Verstorbenen jetzt sein mögen.
In Bezug auf „meine Toten“ fiel es mir leichter, jene gehen zu lassen, von denen ich in etwa wusste, welche Vorstellungen sie von dem, was danach kommt, hatten. Nicht nur Pragmatismus walten zu lassen und das Materielle zu regeln, sondern Angehörige auch an den eigenen Glaubens- und Nachweltvorstellungen teilhaben zu lassen, gibt Hinterbliebenen also auch etwas Halt in der Zeit danach und erleichtert vielleicht ein klein wenig den Abschied aus der materiellen Realität und die posthume Beziehungsgestaltung.
Weißt du, welche Vorstellungen deine Eltern, Großeltern, Geschwister, Freund:innen und Kinder vom (Nicht)leben nach dem Tod haben? Rede mit ihnen darüber!
Ouroboros – Ende und Anfang in einem
Während die erste Version dieses Textes im Frührjahr 2024 entstand, sprossen draußen die Frühlingsknospen, mein 39. Geburtstag rückte näher und fasste ich den Entschluss, mich in diesem bevorstehenden 40. Lebensjahr, noch einmal intensiver mit dem Thema Tod und Sterben zu befassen.
Nach meiner ersten Bekanntschaft mit dem Tod, vor über 20 Jahren, als ich meinen Bruder verlor, wollte ich lange nichts von ihm wissen und dachte, man kann könnte ihm trotzen, indem man ihn in österreichischer Manier einfach nicht so Ernst nähme und Witze über ihn machte: „Sterben miass‘ ma olle irgendwaun.“
Als sich der Tod dann eines Tages einen üblen Scherz mit mir erlaubte, änderte sich meine Haltung. Zwar war der Herzinfarkt, den ich eines Morgens nach dem Aufstehen erlitt nur ein spastischer Rückenmuskel, die Todesangst, die ich dabei jedoch erlitt, war real. So real, dass ich meine Einstellung zum Leben und meinen Lebenswandel danach gehörig überdachte und auch infragestelle, ob ein schneller, überraschender Tod, der einem keine Gelegenheit gibt, sich vom Leben und von Liebsten zu verabschieden, wirklich so wünschenswert ist.
„It’s better to burn out than to fade away“ lautete eine Textzeile aus einem Neil Young Song, die Kurt Cobain in seinem Abschiedsbrief wiederaufgriff und die so wohl in den Köpfen mehrerer Generationen rumgeistern dürfte.
Ich selbst habe schon zu viele jung und schneller ausbrennen sehen, als dass sie Frieden mit ihrem Leben machen konnten und möchte, wenn ichs mir aussuchen dürfte, lieber wie ein Herbstblatt alle Farben des Lebenszyklus durchlaufen und mich dann – bevor mein Körper wie ein trockenes Blatt zerbröselt – verdünnisieren und verblassen.
Und ich möchte jenen, denen es helfen kann, mein Wissen und meine Erfahrung rund um Körperarbeit und das Navigieren durch sich wandelnde Bewusstseinszustände zur Verfügung stellen.
Weil ich glaube, dass sich die Sterbeversorgung und -begleitung enorm wandeln und über die medikative Palliativversorgung hinauswachsen muss.
Sowohl bei meinem Vater, als auch meinem Onkel durfte ich erleben, dass selbst (oder gerade?) im letzten Endstadium Krebs, simple Körperübungen das subjektive Wohlbefinden positiv beeinflussen und so die Lebensqualität erheblich steigern können. Auch, weil der eigene Körper in diesem Moment, in dem er mit Bewusstheit und liebevoller Achtung bewegt und gespürt wird, wieder mehr ist, als nur ein von Krankheit gezeichneter corpus mit Patientennummer und Akte.
Bei allem medizinischen Fortschritt den wir alleine in den letzten Jahrzehnten erlebt haben (viele Krebssorten sind – sofern früh genug erkannt – kein Todesurteil mehr), hat sich in puncto menschenwürdiger Behandlung in der Gesundheitsversorgung leider viel zu wenig getan.
Die Ökonomisierung und Überlastung des Gesundheitssystems, sowie der Pflexit verschärfen diese Situation eher, als dass wir uns eine Verbesserung erwarten dürfen. Behandler:innen, die sich in diesem System ein menschliches Antlitz waren sind Lichtblicke – wir bräuchten viel mehr davon.
Thanatechnology, Jugendwahn und Longevity-Trends
Ich wünsche mir, dass wir uns über das Sterben mit derselben Selbstverständlichkeit unterhalten, wie über das Gebären. Und dass wir uns, anstatt dem Unendlichkeitswahn der Tech-Millionäre zu folgen, vergegenwärtigen, dass wir ohne die Endlichkeit sehr schnell alle Achtung vor dem Leben und der Kostbarkeit jedes Moments verlieren würden. Die vielzitierte unantastbare Würde und der Wert jedes Menschenlebens (ich weiß, es ist eine Floskel, die in Kriegszeiten, in denen so würdelos auf Menschenleben rumgetrampelt wird, fast zynisch klingt), sie ist gebunden an die Endlichkeit des Lebens.
Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft noch mehr darum bemüht sind, Menschen an beiden Enden ihres Lebens einen friedlichen, humanen und möglichst selbstbestimmten Übergang zu ermöglichen, statt sie zu AI generiertem Untotsein zu verdammen oder Frankenstein-Robotern aus ihnen zu machen.
Ein Buch, das ich zum Anlass meines Geburtstags wieder aus dem Bücherregal geholt habe, ist Stephen Levines „A Year to Live – How to live this year as if it were your last“. Vor sieben Jahren hat es mich durch mein Trauerjahr begleitet, dieses Jahr war es an der Zeit, es noch einmal, mit ein wenig mehr Muße und einem weniger schmerzenden Herzen, zu lesen.

Stephen Levine war ein US-amerikanischer Meditationslehrer und Poet, der gemeinsam mit seiner Frau Ondrea nicht nur mehrere Bücher zu dem Themen Tod, Sterben und Trauer geschrieben, sondern auch viele Menschen in ihren letzten Lebensphase begleitete und u.a. auch mit der Psychiaterin und Nahtod-Forscherin Elisabeth Kübler-Ross gemeinsam an einem Programm für sterbenskranke Menschen arbeitete.
Dieses Buch richtet sich aber nicht an Sterbenskranke, sondern an Menschen, deren Tod nicht absehbar ist, doch die sich mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen möchten, um ihm eines Tages mit weniger Furcht und ohne Reue begegnen zu können.
Anmerkung, Oktober 2024:
Dieser Blogeintrag entstand ursprünglich im Anfang 2024, ich entschied mich dann aber dagegen, ihn gleich zu veröffentlichen. Zu nah und persönlich war da noch der Tod meines Onkels.
Der Tod meines Vaters hat sich vor zwei Wochen zum siebten Mal gejährt.
Seine physische Präsenz fehlt und wird immer fehlen.
Er ist weit weg und doch immer bei mir.